Schmetterlinge für Christchurch

Schmetterlinge für Christchurch

-In Neuseelands Erdbebenstadt lernt man große Trauer kennen – aber auch Hoffnung und Stärke-

Im November 2011 bin ich damals – gerade 19 Jahre alt – als Abenteuerin nach Neuseeland gereist, um dem trüben Deutschland zu entkommen und das Leben am anderen Ende der Welt besser kennenzulernen. Geplant war ein Jahr, doch schon bald kam mein überraschender Entschluss: Eigentlich wollte ich hier erst mal gar nicht mehr weg und beschloss auf unbestimmte Zeit noch weiter zu bleiben.

Letztes Jahr im September zog ich dann nach Christchurch auf die Südinsel Neuseelands, um einen Job als Behindertenbetreuerin anzufangen. Doch auch alles, was ich von Christchurch bisher gehört hatte, konnte mich nicht darauf vorbeireiten was ich dann sah: Man nennt diese Stadt unter anderem auch die „Erdbebenstadt“, den am 22 Februar 2011, um 12.51 Uhr, würde das Zentrum von einem Erdbeben der Stärke 6.3 getroffen und forderte 185 Menschenleben, darunter drei Kinder. Natürlich habe ich diese Katastrophe nie erlebt, doch die Geschichten kennt man trotzdem: Die Menschen erzählen von einer Welle aus Staub, der sich über alles legte, von schreiende und weinende Menschen und von unter Trümmern begraben Körpern.

Auch zwei Jahre später kann man diese Narben immer noch deutlich erkennen:  Überall gibt es Bauarbeiten und einen Stadtkern hat Christchurch gar nicht mehr, denn der ist zerstört und abgesperrt. Die einstige Stolz, die wunderschöne Kathedrale, liegt in Trümmern und man kann das Geröll vom Weiten sehen. Mir wurde erzählt, dass dort einst auch ein wunderschöner Platz war, wo Menschen getanzt und gelacht hatten. Manche Stadtteile erinnern an Geisterstädte: Überall verlassene Häuser, deren Türen offen stehen. Man sieht Möbel und Kleider und es wirkt, als ob die Menschen eines Tages einfach weggelaufen wären.

Und immer noch fühlt man ab und zu Erdbeben, von denen ich manchmal nachts aufwache. Und ich kann da auch nicht lügen: Es macht mir wirklich Angst, vor allem, wenn mich die Risse an den Fensterscheiben meiner Wohnung an jene Katastrophe erinnern.

abraJedes Jahr gedenkt Christchurch jenen Opfern. Letztes Jahr ließ man 185 Schmetterlinge für die Opfer fliegen. Dieses Jahr darf man Blumen in den Avon River werfen oder Nachrichten auf Steine schreiben und sie vor die Trümmer legen. Auffällig sind auch die 185 weißen Stühle, die nahe am Stadtkern an das Geschehene erinnern.

Ich war an jenem verhängnisvollem Datum nicht in Christchurch und ich werde niemals Teil des Geschehenen sein, aber seitdem ich mich im September entschlossen habe, hier zu bleiben, bin ich Teil des Wiederaufbaus geworden. Und obwohl ich weder Katastrophe noch Opfer je gekannt oder erlebt habe, vergieße ich manchmal Tränen, um das, was hier passiert ist. Denn Christchurch ist trotz allem wunderschön und gibt mir Gründe, hierzubleiben, trotz aller Misere.

Schon immer kannte man dieses Ort als die „Stadt der Gärten“ und überall erstrecken sich wunderschöne Rosengärten, wo man oft zu Theaterstücken umsonst hingehen darf. Auch die Einstellung der Menschen fasziniert mich: Niemand jammert hier, man kämpf weiter und hält zusammen. Die Türen der Leute sind offen und sie helfen dir, wenn du es am nötigsten brauchst. Hier gibt es eine Wärme, die ich aus Deutschland nie gekannt habe. Sei es meine Chefin (!), die mir Möbel umsonst anbot, wenn es mir finanziell nicht so gut ging oder ein Freund, der mir einfach so einen Fernseher schenkte. Ich versuche Christchurch mit meiner Arbeit etwas zurückzugeben und habe einmal sogar für ein paar Wochen auf einer Baustelle gearbeitet, um beim Wiederaufbau zu helfen.

container mall in christchurchDiese vernarbte Stadt hat mir beigebracht, dass es ok ist, wenn es einem manchmal schlecht geht. Und auch, wie man Hoffnung schöpft, wenn man am Boden liegt. Denn hier gibt es immer einen Ort, wo man hingehen kann, wenn es nicht mehr weiter geht. Und so einen Platz will ich nicht so schnell verlassen, Erdbeben hin oder her.
Am meisten berührt hat mich dabei ein Schild vor einem völlig zerstörten Haus im Nachbarort Lyttleton, welches besagt: “Es kommt nicht darauf an, wie langsam du gehst, solange du niemals anhältst.“

Bericht und Bilder von Abra Heinrich

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